Ich lebe in einem Loch. Aber es gehört nur mir. Zum ersten Mal habe ich eine eigene Bleibe. Ich habe tatsächlich in der Kanalisation etwas gefunden. Kaum zu glauben, aber kaum jemand geht tiefer in die Kanalisation als die ersten paar Meter. Die meisten finden einen Platz, an dem sie ihren Schlafsack und ein paar Sachen unterbringen können, und sind dann zufrieden. Ich nicht. Ich habe mir jede Ecke angeschaut, bin trotz des Gestanks so weit wie es nur ging durch die Abwasserkanäle gelaufen. Und dann habe ich etwas gefunden, das absolut perfekt ist. Ein kleiner Raum, zugemauert, nur über ein Rohr und einen Lüftungsschacht zu erreichen. Da kommt kaum jemand vorbei, und der Raum liegt in einer Sackgasse. Ich muss den Lüftungsschacht noch irgendwie abdecken, damit man den Eingang nicht mehr sieht. Durch die Rohre kriecht sowieso niemand. Warm ist es da, kein Vergleich zu draußen. Trocken auch. Im Augenblick liegt da nur mein Schlafsack, aber da überlege ich mir noch etwas. Die Kanalisation ist eine richtige Stadt unter der Stadt, ich habe noch keinen getroffen, der sich da unten wirklich gut auskennt. Es gibt da noch ein paar Gänge, die ich auskundschaften wollte, einfach um zu wissen, wie alles da unten aussieht. Es ist jedenfalls etwas sicherer, auch wenn sich da manchmal Gangs herumtreiben.

Das Messer leistet mir gute Dienste. Candy, eine Prostituierte, die hier ihr Revier hat, hat mir beigebracht, damit umzugehen. Sie heißt nicht wirklich Candy, aber hier sagt eigentlich niemand, wer man wirklich ist. Passt mir natürlich ganz gut. Ich musste das auch gleich einsetzen, da war wieder jemand auf der Suche nach Freiwild wie mir. Da habe ich das Messer gezogen und so gehalten, wie Candy es mir gezeigt hat. Ich muss wohl gefährlich genug ausgesehen haben, er ist dann abgehauen. Wahrscheinlich hat er sich ein leichteres Opfer gesucht. Aber beim nächsten Mal reicht es vielleicht nicht, ich muss noch besser werden. Ist echt mies, Freiwild zu sein. Irgendwie muss ich an Clanschutz kommen.

Candy hat mir auch erzählt, warum sich niemand an Caro herantraut. Anscheinend ist sie die Mutter von irgendeinem hohen Clanführer. Jedenfalls soll ich aufpassen, da sind schon Leute verschwunden, weil Caro die wegen irgendetwas nicht mochte. Hunger habe ich immer noch, aber frieren muss ich wenigstens nicht mehr. Ich muss zu Geld kommen, die Mülltonnen zu durchsuchen ist doch echt gefährlich. Aber auf den Strich gehe ich auf keinen Fall.

Berlin, 19. November 2066

— Ende der Aufzeichnung —

Der dritte Teil des Tagebuchs von Nyssa, dem Hauptcharakter aus dem Science-Fiction-Roman »The Pancrator Principle – Der Zukunftsweber«.

Worum soll es im nächsten Tagebucheintrag gehen? Schreibt eure Ideen in die Kommentare.


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