Ohne Waffe gehst du drauf. Da kann jeder machen, was er will, alle sind stärker als ich. Aber ich hatte Glück. Vielleicht war es auch Schicksal. Gestern war ich hinter dem Fast-Food Imbiss, um im Müllcontainer nach Burgern oder Röstbällen zu suchen. Ich konnte mich gerade noch verstecken. Da war ein Mann mit dem Abzeichen der Schwarzfalken auf der Hand. So groß wie ein Gorilla, so etwas habe ich noch nie gesehen, mit langem schwarzen Mantel. Da war ein anderer Typ, den er in diese Gasse geschoben hat, der sah irgendwie abgerissen aus. Ich glaube, er hat sich an einer Nutte des Clans vergriffen, konnte nicht genau hören, worum es ging. Sie haben sich erst angeschrien und dann hat der Abgerissene ein Messer gezogen. Es ging so schnell. Der Gorilla hat ihn wie eine Puppe gegen die Wand geschleudert, und dann ist der Abgerissene nicht mehr aufgestanden. Tot. Gottseidank hat mich der Gorilla nicht entdeckt, ich weiß nicht, was er dann mit mir gemacht hätte. Der Gorilla ist dann gegangen, hat sich nicht weiter um die Leiche geschert. Ich habe nur ein paar Sekunden noch gewartet, dann bin ich da auch weg. Hab aber das Messer von dem Abgerissenen mitgenommen. Es sieht einigermaßen neu aus, nur der Griff ist an ein paar Stellen abgesplittert, aber das kann ich reparieren.
Mit dem Messer fühle ich mich viel sicherer. Ich kann nicht damit umgehen, aber das weiß ja keiner. Ich muss nur so tun, als ob ich jeden abstechen könnte. Eigentlich tut das auf der Straße jeder. Ich glaube nicht, dass Gigi, der Metallsammler, wirklich immer eine Pistole dabei hat, auch wenn er es jedem erzählt. Und wenn er doch eine hat, kann er genauso wenig damit umgehen wie ich. Schwätzer gibt es viele. Irgendwie muss ich es lernen. Wer könnte mir das beibringen? Freunde gibt es hier nicht viele, die warten doch alle nur auf eine Schwäche, um dich auszurauben oder ihren Schwanz in dich hineinzustecken. Ich kann niemandem trauen. Kann auch nicht wirklich mit irgendjemand reden hier. Deshalb schreibe ich das hier. Vielleicht werde ich langsam etwas verrückt?
Polizei verirrt sich hier nie hin, aber wer soll auch nach mir suchen? Meine Eltern können ja wohl kaum zur Polizei gehen um mich wieder einfangen zu lassen. Die würde man sofort deportieren. Die scheren sich einen Dreck um mich, sind vielleicht ganz froh, dass ich weg bin. Ich bin es auch.
Ich brauch etwas besseres als dieses Kartonlager unter der Brücke. Es ist inzwischen richtig kalt, konnte die letzten Nächte nicht schlafen. Ich habe Caro getroffen. Sie ist steinalt, hat schon graue Haare, keine Ahnung, wieso sie noch in Friedrichshain wohnt. Aber jeder lässt sie in Ruhe, irgendwer schützt sie, aber Clanzeichen habe ich noch keine auf ihr gesehen. Sie geht manchmal unter die Brücke und bringt etwas zu Essen, jeder benimmt sich dabei. Caro meinte, ich sollte es mal in der Kanalisation versuchen, aber die besten Plätze sind schon besetzt. Morgen werde ich einmal runtergehen, vielleicht finde ich ja doch noch was, bevor ich erfriere.
Berlin, 12. November 2066
— Ende der Aufzeichnung —
Der zweite Teil des Tagebuchs von Nyssa, dem Hauptcharakter aus dem Science-Fiction-Roman »The Pancrator Principle – Der Zukunftsweber«.
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